Samstag, 15. Oktober 2011

19.05.2011 Zariquiegui => Estrella

Ein neuer Tag und heute sollte es über den Alto del Perdón gehen. Irgendwo auf dem Weg habe ich diese beiden mit Jakobsmuscheln verzierten Häuser gesehen:


Eine tolle Idee für die individuelle Gestaltung der sonst eher eintönigen Hausfassaden!
Direkt auf dem Alto musste ich natürlich das Denkmal fotografieren, es hatte ja gewissermaßen einen ideellen Wert als eindeutiger Beweis dafür, dass ich tatsächlich diese verrückte Sache mache!


Die Windräder gehören zu der Gesellschaft, die das Denkmal gestiftet hat. Auf diese Weise konnte ich auch für mich feststellen, dass das Rauschen der Windräder vollkommen ertragbar ist. Irgendwie erinnert es auch ein wenig ans Meer, rauscht ja auch... Jedenfalls empfand ich es nicht als Lärmbelästigung.
Aber natürlich musste man ja den Berg, den man raufgekrochen war, auch wieder hinunterstiefeln. Das ist der Camino.

Der Ausblick war schon toll, aber wenn man dann die zwei, drei Schritte über den Kamm ging, dann begrüßte einen dieser Abstieg:

Schotter! Der Feind aller Sprunggelenke! Na Mahlzeit.
Dennoch lief es lange recht gut. Bis ich kontinuierlichen Schmerz im linken kleinen Zeh wahrnahm. Da ich dadurch anfing den linken Fuß beim Gehen zu entlasten und eine vollkommen ungesunde Gangart annahm, suchte ich mir die nächstbeste Sitzgelegenheit und sah mir die Sache mal näher an.
Meine kleine Blase am linken kleinen Zeh hatte sich unter dem Blasenpflaster hervorgearbeitet und umfasste nun fast die ganze Zehenspitze! Untragbar! Also fummelte ich unter mentalem Gefluche das vermaledeite Blasenpflaster von meinem Zeh, suchte mein Erste-Hilfe-Kit heraus und punktierte die verflixte Blase. Mitfühlende Pilger fragten mich, ob ich alles hätte oder was bräuchte, aber glücklicherweise hatte ich mich ja vorbereitet. Ich verneinte daher und nutzte die Gelegenheit meinen Wasservorrat aufzufüllen und eine Kleinigkeit zu essen. Währenddessen konnte die entleerte Blase ein bisschen trocknen, denn ich hatte ganz gewiss nicht vor, da nochmal ein Blasenpflaster draufzupappen! Und - Wunder über Wunder - als ich nach etwa einer halben Stunde mit nacktem Fuß wieder in Strumpf und Schuh schlüpfte, war es deutlich besser! Merke: Blasenpflaster sind Murks!

Als es bei Cirauqui dann zum x-ten Mal erst steil hoch und dann auf der anderen Seite der Stadt genauso steil wieder bergab ging, war für meine Knie Schicht im Schacht. Schmerz! Da hatte sie mich also, die zweite der beiden großen Pilgerkrankheiten: Knieschmerzen! Blöderweise brachten die extra angeschafften Kniesportbandagen auch herzlich wenig. Und dabei war ich noch einige Kilometer vom heutigen Tagesziel, Lorca, entfernt!
Wie jetzt, Lorca? In der Überschrift steht doch Estrella??!
Ja. Geplant war Lorca, das waren etwa 28 km als Tagesetappe, was ich persönlich schon während der Planung als mutig, aber schaffbar empfunden hatte. Nur leider hatte ich dabei die Rechnung ohne die verdammten Vorbucher gemacht!
Man muss nämlich wissen, dass Lorca ein winziges Kaff auf einem Berg ist - wie übrigens scheinbar so gut wie alle Orte im navarrischen Teil des Weges. Nun hat Lorca gerade mal zwei Herbergen, beide werden privat betrieben. Und leider Gottes schienen so einige Pilger die Idee gehabt zu haben, nicht bis Estrella zu laufen, sondern sich in dem kleineren Ort Lorca einzuquartieren. Blöderweise nehmen private albergues aber Vorbuchungen an, was aus finanzieller Sicht nachvollziehbar ist, aus menschlicher jedoch nicht. Denn so werden geschundene Pilger wie meinereiner dazu gezwungen weiterzulaufen, auch wenn sie am liebsten einfach nur noch an Ort und Stelle umfallen und ein bisschen weinen wollen.
So saßen die anderen Pilger teils mopsfidel an der Bar und schlürften ihre überteuerte Cola, während sich mir die Wut im Bauch zusammenballte und ich mir sagte: "Na gut! Wenn Lorca mich nicht will, bekommt es mich auch nicht!"
Und so stiefelte ich mit einer Menge Wut auf die blöden Vorausbucher und die noch blöderen hospitaleros weiter, wieder den Berg hinab und ins Weizenfeld hinein. Naja, zugegebenerweise war es ein Trampelpfad, der sich Camino schimpfte, aber ich lief weiter.
Um die ganze Sache noch abzurunden, hatte ich schon seit einer Weile kein Wasser mehr, keine Lust eine kleine Cola für 2 Euro zu kaufen und dann zog hinter mir auch noch eine dicke, fette schwarze Wolke auf. Na danke, auch noch ein Gewitter, oder wie?! Naja, wir waren ja vorbereitet.
Der Poncho ließ sich nur widerwillig aus seinem Stuffbag (Tolles Wort! Stopfbeutel!) befreien und noch widerwilliger über meinen Rucksack und mich stülpen. Geschafft hatte ich das Manöver trotzdem irgendwie und marschierte nun als dunkelgrünes wandelndes Zelt durch die navarrische Landschaft. Dass mir dabei von vorn die Sonne höhnisch ins Gesicht schien, machte das ganze Unterfangen auch nicht gerade besser, denn so fühlte ich mich auch noch, wie ein wandelndes Tropenhaus! NICHT mein Tag!
Als ich die weiteren knapp 8 km nach Estrella endlich hinter mich gebracht hatte, musste ich dann auch feststellen, dass anscheinend sämtliche albergues ausgebucht waren. Ja wollte mich denn heute einer rollen?! Glücklicherweise wusste meine schlauer Pilgerführer jedoch von einer Notfallalbergue am Stadtausgang Estrellas zu berichten, die wohl im örtlichen Sportzentrum untergebracht war. Dort fand ich dann auch endlich ein Bett!
Der Herbergsvater, seinerseits ein ehemaliger Pilger aus Rheinland-Pfalz, erkannte mich schon von weitem als Deutsche, denn da man als Ortsunkundiger sich gern verläuft, ob seiner langen Wanderzeit des Tages das aber mal sowas von nicht vorhat, hatte ich meinen Führer in der Hand behalten. Ein Hoch auf den gelben Outdoor-Pilgerführer! Und an dieser Stelle auch Dank an meine Schwester, die mir diesen Führer geliehen hatte, weil sie ihrer Camino eigentlich 2010 antreten wollte, jedoch keinen Urlaub für diese Zeit bekam.
Da ich erst gegen 19 Uhr abends eingetroffen war, dennoch meine Wäsche gewaschen hatte, hängte ich sie in der Dusche auf. Der Herbergsvater zeigte mir dann aber den Heizungskeller, durch dessen kuschlige Wärme meine Klamotten glücklicherweise bis zum nächsten Morgen getrocknet waren.
Als ich dann durch den Schlafsaal zurück zu meinem Bett humpelte, meinte ein Mitpilger nur schlauerweise: "Das sieht aber auch nicht mehr gesund aus!"
In der Tat.

Mittwoch, 27. Juli 2011

18.05.11 Larrasoaña => Zariquiegui

Trotz des nächtlichen Schnarchkonzerts der Französin war ich doch ganz gut ausgeruht. Ich habe die Damen vorgehen lassen, denn so komme ich nicht in die Verlegenheit, mich mit ihnen doch noch unterhalten zu müssen und dann irgendwann peinlich berührt abbrechen zu müssen, weil ich gar nichts mehr verstehe. Außerdem will ich allein laufen, ich möchte nicht jemandem hinterherlaufen oder jemanden 'mitziehen'. Ich bin schließlich hier, weil ich mal Zeit für mich allein haben wollte, selbst entscheiden, wann ich was tue.

Dass es allerdings permanent hoch und dann gleich wieder runter musste, nur um dann doch wieder bergauf zu gehen, war schon extrem anstrengend. Besonders, wenn man vom Vortag fiesen Muckikater in den Waden hat! Allerdings hatte ich eine Erkenntnis: ich durfte den rechten Wanderstiefel nicht bis oben hin zuschnüren, dann gab es auch keine schmerzende Druckstelle! Ha! Hör auf deinen Körper. So isses.
Wenigstens waren keine weiteren Blasen dazugekommen. Man war ja auch für die kleinen Dinge schon dankbar. Vor allem, wenn man allmittaglich die geschundenen Füße der Mitpilger zu sehen bekam!
Da mich mein Pilgerführer allerdings darauf aufmerksam machte, dass es bis Puente la Reina keine weitere Einkaufsmöglichkeit mehr geben würde, deckte ich mich in Pamplona bei nächster Gelegenheit mit Lebensmitteln für zwei bis drei Tage ein. Gefrühstückt hatte ich auch noch nichts und diese Schokocroissants sahen einfach zu gut aus... Dann nur zu einem Preis von 1 €? Wer konnte da nein sagen?
Pamplona war übrigens eine sehr schöne Stadt, zumindest der Teil, den ich gesehen habe. Allerdings konnte ich keine einzige fuente, also Pilgerbrunnen, entdecken, was mich schon sehr wunderte. In manchen Bergdörfern hatte man fast alle 2 Schritte so ein Ding und dann konnte so eine große Stadt wie Pamplona mit keiner einzigen aufwarten? Irgendwie schwach. Vielleicht war ich aber auch nur zu doof, die zu erkennen. Wer weiß? Wenigstens hatte ich hier eines meiner Caminoerlebnisse: ein Pärchen mittleren Alters bewahrte mich vor einem Umweg, indem sie mich darauf aufmerksam machten, dass der Weg nun über eine Straße führte und nicht noch weiter um den Stadtpark herum. Die in den Boden eingelassenen Muschelchen waren manchmal aber auch schwer zu entdecken!

Vielleicht ist dem aufmerksamen Leser schon aufgefallen, dass es herzlich wenige Bilder von irgendwelchen Sehenswürdigkeiten etc. in diesem Blog gibt. Dazu sei gesagt, dass ich kaum kulturelles Interesse am Weg gezeigt hab, da es sich ja schließlich nicht um ein Endlossightseeing handeln sollte, sondern um eine persönliche Erfahrung. Und meine persönlichen Erfahrungen mit Gebäuden und ähnlichem halten sich doch arg in Grenzen. Daher fielen dann eher die Natur und ihre Bewohner meiner Knipse zum Opfer. Oder eben Orte mit besonderer Atmosphäre. So zum Beispiel diese Brücke in einem Ort, desen Namen ich nicht mehr weiß. Nur fotogeknipst, weil sie so schön da lag und das Schilf irgendwie was hatte.



In den Flüssen hier schien es auch eine Menge Forellen zu geben, was erklärte, warum die Forellen häufig auf den Speisekarten der navarrischen Restaurants zu finden waren.

Das Wetter war mir - wie man sieht - auch weiterhin hold. Jedenfalls meinte es die Sonne verdammt gut. Was dem Pilger natürlich weniger passt, denn in brütender Hitze mit mittlerweile knapp 20 kg auf dem Buckel durch Spanien zu trotten ist nicht unbedingt das, was man sich unter Entspannung vorstellt. Wenn dann noch keine Bäume in Sicht und die fuentes rar sind...

Der Weg aus Pamplona heraus war anstrengend, nicht mal, weil es steil bergauf ginge, sondern weil es permanent an einer Landstraße entlang ging und einem die Sonne weiterhin so unbarmherzig auf den Hut brannte. Da freut es einen doch, wenn einem ein entgegenkommender Spanier ein munteres "Animo!" (soviel wie "Kampfesgeist!") zuruft. Man mag es kaum glauben, aber solche Freundlichkeiten geben einen nicht zu unterschätzenden Motivationsschub!
Wie es das Leben so will, ging das letzte Stück der Etappe wieder einen kleinen Berg hinauf, auf dessen Spitze der Alto del Perdón warten sollte, dessen metallenes Denkmal für die Pilger schon in vielen Pilgerführern abgebildet wurde. Allerdings hatte ich heute nicht vor, dieses Stück noch hinter mich zu bringen. Das wollte ich dann morgen lieber gut ausgeruht in Angriff nehmen.
Die private Herberge in Zariquiegui (auf baskisch übrigens Zarikiegi, so wie mans ausspricht) wurde von einer sehr netten Familie betrieben, bei der ich mich allerdings ein winziges bisschen unbeliebt machte, weil ich das Abendessen für 10 € nicht mitbuchte. Aber zum Glück hatte ich das nicht getan, denn die buchenden Pilger bekamen auch nur Zeugs aus der Mikrowelle vorgesetzt! Ich setzte mich dann zwar dazu, mümmelte aber nur einen Apfel, denn ich hatte bereits auf dem Zimmer ein kleines Abendbrot gegessen.
Nach dem Abendessen unterhielt ich mich wunderbar mit Don, einem 71-jährigen Amerikaner aus Oregon. Er ging mit Jerre (77!), der schon immer den Camino pilgern wollte und sich jahrelang auf den Trip vorbereitet hatte, und dessen Sohn Jeff (ca. Mitte 40), der seinen alten Herrn begleitete. Don erzählte mir, dass seine Vorfahren aus Baden-Baden kamen und er selbst nach dem zweiten Weltkrieg in Stuttgart stationiert gewesen war, dass er noch immer Freund ein Deutschland hatte, die er nach der Pilgerreisebesuchen wollte und liebevoll-stolz von seiner Frau, die durch Skoliose zwar schon sehr gebeugt war und ständig Schmerzen hatte, aber dennoch tapfer jeden Tag ihre Übungen machte. So eine respektvolle Liebe! Großartig!

Die Nacht in meinem 8-Bett-Zimmer war schlimm. Einer der mit im Zimmer schlafenden Spanier hatte diese Schlafapnoe - schnarchen, dabei immer leiser werden, dann für knapp ne Minute gar nicht atmen und dann auftiefster Lunge so richtig laut und langgezogen Aufschnarchen! Schlimm! Immer dann, wenn man gerade wieder weggedämmert war, schnarchte der wieder los! Das ging so lange, bis er sich endlich wieder auf die Seite drehte...
Das erste Mal dachte ich über Ohropax nach.

17.05.2011 Roncesvalles => Larrasoaña

Die Nacht war ruhig, ich hab geschlafen, wie ein Stein! Ich wurde erst vom eingeschalteten Deckenlicht geweckt; keine Ahnung, wie spät es da war, ich verzichte auf dieser Reise großzügig auf sämtliche Chronographen. Also frisch alles zusammengepackt, den Schlafsack in den Monsterrucksack gestopft und auf zum nächsten Ziel!
Leider hab ich vor lauter Tatendrang einen Teil meiner Klamotten auf der Leine vergessen... Plötzlich waren es nur noch 2 Oberteile... Hoffentlich verliere ich das zweite nicht auch noch, dann wird es nämlich etwas eng... o_O
Der Weg nach Burguete ist wunderschön, da es so früh ist, fahren kaum Autos auf der kleinen Straße neben dem Weg und die Bäume sind schön grün. Von den Feldern links zieht der grüne Geruch frischen Getreides herüber. So kann man es sich doch gefallen lassen!

Natürlich bin ich immer noch in den Pyrenäen unterwegs, das schlägt sich auch auf meinen Hunger nieder. Meine Powerriegel hatte ich gestern schon verspachtelt, heute hatte ich nur einen Apfel und eine Banane, die eine Frau aus einem kleinen Laster auf einer Anhöhe verkauft hatte. Clevere Geschäftsidee! Aber trotzdem sollte ich mal dringend nach einer Einkaufsmöglichkeit Ausschau halten.
Und tatsächlich, in Espinal gab es gegen Ortsausgang so einen winzigen Tante-Emma-Laden. Allerdings die große Frage: was kaufen? Ich habe es mit einem Vollkorntoastbrot, Müsliriegeln, etwas Obst und Honig probiert. Ich hatte Hunger auf süß!
Mein Rucksack nahm meinen Einkaufsflash stoisch hin, meine Schultern und Füße sagten mir allerdings, dass sie die zwei Kilo mehr deutlich spüren! Egal, da musste ich durch. Immerhin konnte ich mich ja damit trösten, dass es mit der Zeit wieder leichter wird, weil ich ja was davon esse... Naja, ich war halt noch nie so lang allein gewandert. Ein großer Lernprozess!

An diesem Tag traf ich Basti aus der Nähe von Koblenz und Paula aus Köln. Basti sollte ich später immer mal wieder treffen, mit Paula blieb es bei dieser einen Begegnung. Basti war wie ich ein Erstpilger, er wollte sich auf dem Weg darüber klar werden, wo er jetzt nach dem Abi eigentlich hin wollte im Leben. Paula war bereits pensioniert und lief den Weg schon zum zweiten Mal. So unterschiedliche Leute kann man auf dem Weg treffen!

Der Weg nach Larrasoaña kam mir furchtbar lang vor, mir taten die Beine und Füße vom ungewohnten Gewicht weh und ich hatte es geschafft mir in den billigen Outdoor-Schuhen von Deichmann pro Fuß eine Blase am kleinen Zeh zu laufen. Morgen definitiv wieder die Wanderstiefel!
In Larrasoaña bin ich im Haupthaus untergekommen, wie ich später erfahren sollte, war das auch gut so! In meinem Zimmer schliefen außerdem noch zwei Französinnen. Natürlich sprachen die auch keine andere Sprache, als Französisch und mein Schulfranzösisch war ja schließlich auch schon mehr als eingerostet. Also war die Kommunikation mehr oder weniger auf Hand-Und-Fuß eingeschränkt, aber man konnte sich zumindest ein bisschen verständigen. :) Allerdings durfte ich dann später feststellen, dass die ältere von beiden entsetzlich schnarchte! Man sollte nicht meinen, dass auch Frauen solche Gaumensegler sein können... o_O
Aber man muss einfach lernen, sich über solche Kleinigkeiten nicht aufzuregen und dann kann man auch schlafen.

Mittwoch, 20. Juli 2011

16.05.11 St.Jean-Pied-de-Port => Roncesvalles

Ich hatte meinen Trip nach Spanien ja extra so geplant, dass ich im Zug schön schlafen und dann frisch wie der junge Morgen direkt schon die erste Etappe hinter mich bringen konnte. Äh, ja. Zumindest war dies die Theorie gewesen.
Ich bin also doch noch etwas müde den Pilgermassen hinterhergestiefelt und kam so durch ein altes Steintor



in die kleine Gasse (also Straße kann man das nicht gerade nennen, wenn zwei Autos gerade so aneinander vorbei kommen), in der sich auch das Pilgerbüro befindet.


Im Pilgerbüro saßen vier Leute für die vier großen Sprachen: Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch. :) Da die meisten Pilger mindestens eine dieser Sprachen beherrschen, kommen die so auch gut klar. Dort habe ich mir dann den ersten Stempel (Yay!), einen Etappenplan, eine Liste mit den Herbergen auf dem Weg und eine Karte für den Weg bis Roncesvaux (jaha, wir sind hier schließlich in Frankreich!) geben lassen. Und dann verabschiedete ich mich von dem Salzburger Hans und machte mich auf nach Spanien.




Die ganze Gasse hinab, über eine Brücke und dann aus der Stadt heraus direkt in die Pyrenäen. Heissa! Warum mir die ganze Zeit "Das Wandern ist des Müllers Lust" im Kopf herumspukte, ist mir völlig schleierhaft... ;P
Und die Pyrenäen haben es echt in sich! Es ging immer bergauf, anfangs noch auf einer Asphaltstraße, die dann aber bald in eine Schotterpiste überging und durch die Weiden und Felder der umliegenden kleinen Gehöfte führte. Dabei knallte einem die Sonne unbarmherzig permanent auf den Schädel, was mir mit meiner ausladenden Kopfbedeckung ein "C'est un bon chapeau!" eines Radpilgers einbrachte. :D Also nix da von wegen keine Sonne in den Pyrenäen und nur schlecht Wetter! Und weiter und weiter und weiter, immer bergauf. Schon bald stellte ich mir die gleiche Frage, wie Kerkeling seinerseits: Bin ich denn völlig bekloppt?!
Aber Zweifel an der eigenen mentalen Gesundheit zum Trotz lief ich natürlich weiter. Immerhin sollte Weg ja nicht klären, ob ich eingewiesen gehöre oder nicht! Genaugenommen sollte er gar nichts klären. Wenn er was klärte, dann wäre das ein netter Nebeneffekt, aber keineswegs das Ziel. Nein, ich wollte einfach nur mal weg. Lange weg. Und mir selbst etwas beweisen.
Wie dem auch sei, die letzte Möglichkeit zum Wasserauffüllen hatte ich irgendwie übersehen, aber noch genügend in der 0,7 l SIGG, die mich auf meinem Weg begleiten und Wasser spenden sollte. Glücklicherweise traf ich auf Reiner aus Konstanz, der mir dann in Orisson, der letzten Herberge vor Roncesvaux und permanent ausgebucht, eine Cola ausgab. Und hey, ich war auch auf dem Weg, um die Gelegenheiten so wahrzunehmen, wie sie kamen, also habe ich mich sehr gefreut und vielmals für die Erfrischung bedankt. Kerkeling schrieb ja schon in seinem Buch, dass er sich im Nachhinein über manch vergebene Gelegenheit geärgert hatte. Sollte mir ja schließlich nicht passieren!

Zumindest war das der Plan gewesen. Denn natürlich hat das Leben immer ganz andere Pläne, als man selbst. Denn als ich endlich den ersten Gipfel hinter mich gebracht und auf dem Abstieg nach Roncesvalles war (hoppla, wir sind auf einmal in Spanien!), fegte mir der Wind den Hut vom Kopf. Na Mahlzeit! Da ich mich gerade zum Verschnaufen hingesetzt hatte, ließ ich meinen Rucksack mal eben liegen und hechtete meiner davoneilenden Kopfbedeckung hinterher! Etwa 50 m den Berg hinab! Graus! Glücklicherweise hatte ich den Flüchtigen erwischt und musste nun wieder hinaufstiefeln, um zu meinem Rucksackmonster zurückzukommen... Na danke auch. Durch diese kleine Eskapade verpasste ich natürlich auch den Abzweig zum leichteren Teil der Strecke - und das, obwohl man mich im Pilgerbüro mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass der Wald zu steil wäre! T^T
Falls es jemanden interessiert: JA, er ist definitiv zu steil! Schon nach kurzer Zeit merkte ich als noch Untrainierte das deutlich in den Füßen und ich bekam am rechten unteren Schienbein eine fies schmerzende Druckstelle von meinen Stiefeln. Toll. Wenigstens blieben mir erstmal Blasen erspart!
Als ich den Wald dann endlich hinter mich gebracht hatte, tauchte urplötzlich Roncesvalles vor meiner Nase auf. Glückseligkeit, dein Name ist Roncesvalles! Vollkommen geplättet bin ich dann zur Herberge gekrochen (10 €, alter Falter...), füllte ein kleines Formular über Sinn und Zweck meiner Reise aus, ließ mir meinen Stempel und die Bettnummer geben und kroch in den dritten Stock des neuen Herbergsteils mit Jugendherbergscharme. Immerhin, es gab Duschen und Betten. Schon der erste Tag machte deutlich, was die essentiellen Bedürfnisse der nächsten 34 Tage ausmachen würde. Duschen, essen, schlafen. Und glücklicherweise ist der neuere Herbergsteil deutlich von dem entfernt, was Kerkeling in seinem Buch beschreibt. Was zehn Jahre so ausmachen können!
Zum Abendbrot gönnte ich mir dann zwei Powerriegel, aber meine Bettnachbarin, eine Südkoreanerin mit Namen Choo Lee (oder so) bestand darauf, dass ich mit ihr Nudeln essen sollte! :D Auch wenn ich sie nicht kannte und sie so gut wie kein Englisch sprach, so konnten wir uns dennoch ganz gut verständigen. Man unterschätze nie die Macht der Hände-und-Füße-Kommunikation! XD
Später wusch ich dann noch meine Klamotten, denn immerhin hatte ich ja nur so gepackt, dass ich von allem nur zwei Sachen dabei hatte. So trug ich Outfit 1, während Outfit 2 von mir gewaschen wurde. Als ich dann noch ein Plätzchen für meine Wäsche gefunden hatte, kroch ich wieder hinauf in den Schlafsaal, ging Zähneputzen und fiel todmüde ins Bett.
Erste Etappe erfolgreich beendet!

Samstag, 16. Juli 2011

15./16.05.11 Berlin - St.Jean-Pied-de-Port

Nun war es also soweit.

Vor etwas mehr als einer Woche hatte ich meiner Mutter eröffnet, dass ich für 5 Wochen nach Spanien gehe, um dort den Camino de Santiago zu laufen. Quasi auf Hape Kerkelings Spuren. Wobei man ja auch sagen muss, dass Hape nicht der Auslöser für meine plötzlich entdeckte Wanderlust war, aber eine großartige Motivation: was so eine Couchpotato hinbekommt, schaff ich als veritabler Jugger allemal!

Also hatte ich mich gründlichst vorbereitet:
Den Rucksack kaufte ich 3 Wochen vor Abfahrt aus dem Netz. In ein Outdoorgeschäft latschen und so ein Ding für viel zu viel Geld aufgeschwatzt bekommen? Nee. Muss doch kein Deuter sein. Ein preisgünstiger Wanderrucksack mit passablen Bewertungen auf amazon reicht auch.

Outdoorbekleidung?
Iwo, meine normalen Klamotten reichen. Okay, ne leichte lange Hose sollte man vielleicht mitnehmen, also hatte ich noch eine Outdoorhose für 12 Euro bei t.k.maxx erstanden. Den Regenponcho, die wasserdichte Hülle für meine Dokumente, ein kleines Erste-Hilfe-Set und eine Tasche für die Knipse auch. Okay, zugegebenerweise auch einen breitkrempigen Sonnenhut (wichtig!) und ein grün/schwarz kariertes Hemd aus dünner Baumwolle. Schließlich gehts nach Spanien, da brennt die Sonne!

Da der Onlineversand meine Stiefel nicht rechtzeitig schickte, obwohl ich die 5 Wochen vor meiner Abfahrt bestellt hatte, war ich dazu gezwungen doch noch am gestrigen Tag in ein Sportgeschäft zu wackeln und für unglaublich teure 100 Euro Wanderstiefel aus Nubukleder mit Goretex-Einsätzen zu kaufen! Skandalös!

Wie dem auch sei, an diesem Tage waren ich und mein Rucksack mit sagenhaften 13 Kilo Kampfgewicht auf dem Weg nach Spanien! ENDLICH!!

Ich wurde von meiner Familie zum Bahnhof gebracht, alle waren müde und ein wenig angespannt. Ich hauptsächlich wegen der Müdigkeit, meine Familie wegen meiner Abreise und den Gefahren, die da am Horizont dräuten. Oder so. Als jedoch mein ICE nach Mannheim 12:30 im Berliner Hbf einfuhr, bekamen meine Mutter und Schwester Pipi in den Augen. Da wurde noch mal sämtliche Luft aus meinen Lungen gequetscht und meine Schwester band mir ein selbstgemachtes Bändchen aus ultramarinblauer Wolle um den Arm. Als Glücksbringer. :)
Ich stieg also in den Zug ein, suchte meinen Platz (ein Einzelplatz am Fenster! YAY!), setzte mich elegant (= ließ mich plumpsen) und winkte meiner Familie, während der Zug langsam aus dem Bahnhof Richtung Abenteuer fuhr.

Die Fahrt war herzlich unspektakulär, was aber auch an meiner durch Schlaf indizierten Unaufmerksamkeit gelegen haben mag. ;) Allerdings durfte ich feststellen, dass eine Toilette für 120 Euro auch nicht luxuriöser ist, als eine für 2,60. Wer hätte das gedacht? Wenigstens waren der DB die Erste Klasse-Reisenden wichtig genug, dass ein Wagenbegleiter mit einer Schale Pralinen herumging. Yay, eine Gratispraline für 120 Euro! XD

In Mannheim stieg ich dann in den TGV um. Hallo! Train de Grande Vitesse! Der Vorzeigeschnellzug aus Frankreich! Allerdings hielt die etwas klapprig erscheinende Innenaustattung der Imagination nicht stand. Dennoch kann man als Passagier der ersten Klasse bei den Franzosen mit einer kleinen Mahlzeit rechnen! Ich hatte natürlich keine Ahnung und hab den Zugbegleiter angestarrt wie ein Hirsch im Scheinwerferlicht. XD Es gab ein kleines Brötchen, Butter, Wurst, Käse, ein bisschen Salat und einen kleinen Cupcake. Als Abendessen war das vollkommen okay! Dazu konnte ich wählen, ob ich Wasser oder Wein wollte. Da Alkohol ja eher weniger etwas für mich ist, nahm ich natürlich das Wasser. ;)
Das Beste: ich konnte mir mein Ticket für die Métro (1,60) gleich im TGV kaufen und kam nicht in die Verlegenheit abends um 21 Uhr noch ein Ticket in Paris auftreiben zu müssen!

Bei den Parisern habe ich auch gleich kräftig Eindruck hinterlassen: In der Bemühung niemanden mit meinem monströsen Rucksack zu erschlagen, stolperte ich beim Anfahren der U-Bahn nach hinten und trat einem dunkelhäutigen Mann mit meinen Wanderstiefeln kräftig auf den großen Onkel. Treffer! Versenkt! Zum Glück sehe ich nie wieder jemanden aus dieser U-Bahn... Peinlich.

In Paris-Austerlitz musste ich noch etwa anderthalb Stunden warten, bis mein Schlafzug nach Bayonne bereitgestellt wurde. Ein elendslanges Ding! Während des Wartens waren mir schon andere Pilger aufgefallen - super an Outdoorklamotte und Pilgermuschel am Rucksack zu erkennen - und auch in meinem Abteil fand sich einer. Der Hans aus Salzburg! Um uns die Zeit zu vertreiben unterhielten wir uns ein bisschen, wie die Anreise war, wie der Start sein würde, ob es wirklich so viele Pilger wären, und so weiter.
Im Waggon an sich war es wirklich unglaublich muffig und man konnte die Fenster nicht öffnen! Grusel! Aber na gut, für 32 Euro quer durch Frankreich durfte man vermutlich auch nicht allzu viel erwarten...
Da ich meine Sitzbank für mich allein hatte, konnte ich mich sogar relativ gut ausbreiten und habe dann auch gut geschlafen. Die andauernde Müdigkeit (ja, auch Rumsitzen ist anstrengend!) trug dann vermutlich auch ihren Teil zur angenehmen Nachtruhe bei.

Der Zug kam dann auch recht pünktlich (hey, nur 20 min Verspätung!) in Bayonne an, 7:30 kaufte ich das Ticket nach St.Jean und 7:45 ging es los. Der Bahnsteig war voller Pilger aus allen Nationen, da kam man schon richtig in Stimmung! Allerdings war auch eine französiche Schulklasse mit dabei, weswegen der kleine Regio fast aus allen Nähten geplatzt wäre. XD
Knapp vor 10 waren wir dann endlich in St. Jean angekommen, allerdings war ich noch zu groggy um daran zu denken ein Bild vom Bahnhof zu machen...
Egal. Angekommen! Es kann beginnen!!